Auf Schienen quer durch Russland: Die Transsibirische Eisenbahn lebt
Erfüllung eines lang gehegten Lebenstraums
9228: Die vier Ziffern stehen umlaufend auf dem Sockel eines Obelisken, den ein doppelköpfiger Adler krönt. Wer hier steht, am Ende des Bahnsteigs 1 im Bahnhof von Wladiwostok, ist am östlichsten Punkt der Hauptroute der Transsibirischen Eisenbahn angekommen. Hier, knapp neun Flugstunden von Moskau entfernt, endet die Trasse der längsten Eisenbahnstrecke der Welt. Gleich hinter dem Bahnhofsgebäude, einem imposanten Jugendstil-Schmuckstück, wogt sanft der Pazifische Ozean.
Die Fahrt auf der 9.228 Kilometer langen Schienenstrecke von Moskau bis Wladiwostok ist fast dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer ein Mythos.
„Für Weltenbummler ist die Fahrt auf der Transsib durch acht Zeitzonen mit nichts anderem auf unserer Erde vergleichbar“, meint Felix Willeke. Der stellvertretende Geschäftsführer von Lernidee Erlebnisreisen weiß die entschleunigte Art des Reisens quer durch Russland zu schätzen: „Diese Reise birgt unwiederbringliche Erlebnisse und Eindrücke. Wer auf der Transsib fährt, erfüllt sich damit meist einen sehr lang gehegten Lebenstraum.“
Als Zar Alexander III. den Bau der Transsibirischen Eisenbahn anstieß und durch seinen Sohn Nikolaus II. über 25 Jahre hinweg bis zur Eröffnung im Jahr 1916 vollenden ließ, waren ausländische Gäste nicht vorgesehen. Das Schienennetz sollte den weiten Handelsraum Sibiriens erschließen und schnellere Truppentransporte ermöglichen. Zehntausende Arbeiter legten Trassen, deren Gesamtlänge ein Viertel der Erde umspannt. Italienische Steinmetze kümmerten sich um den Brückenbau. Als letzter Teil wurde im September 1916 der Bau der Brücke über den Amur bei Chabarowsk abgeschlossen. Viele Stadtgründungen im Fernen Osten Russlands gehen auf den Bau der Transsib zurück, darunter auch die der Gründung Nowosibirsks, das durch den Brückenschlag über den Fluss Ob entstand.
Felix Willeke stellt einen weit verbreiteten Irrtum richtig: „Transsibirische Eisenbahn ist nicht der Name des Zuges, sondern der Strecke. Man fährt also niemals mit, sondern immer auf der Transsib“. Der Linienzug von Moskau nach Wladiwostok heißt im Netz der Russischen Eisenbahn schlicht „Nummer 43“, so wie auch kleine Siedlungen aus Holzhäusern entlang der Strecke nach dem jeweiligen Streckenkilometer benannt sind. Über 400 Haltepunkte gibt es auf der Strecke. Böse Zungen behaupten, deren Aussehen unterscheide sich allein durch die Größe ihrer Lenin-Statue. „Jeder Reisende hat andere Erwartungen“, meint Felix Willeke. „Eintönig ist es auf der langen Strecke aber sicher nicht.“ Seine persönlichen Highlights sind die Passage auf der alten Original-Trasse der Transsib direkt am Baikalsee zwischen Port Baikal und Sludjanka und die schier endlosen Birkenwälder zwischen Nowosibirsk und dem Baikalsee.
Russen nutzen gern die Eisenbahn als Transportmittel. Wer sich als ausländischer Tourist für die Fahrt mit dem Linienzug Nummer 43 entscheidet, tankt russisches Leben pur. Das gilt besonders für die 3. Klasse mit dem für deutsche Ohren bekannt klingenden Namen Platzkartny. Zwei Betten befinden sich in Längsrichtung und drei Betten quer zur Fahrtrichtung übereinander. Die Reise ist lang, es wird viel gegessen und getrunken. „Laden Sie Ihre Mitreisenden ein“, rät Felix Willeke. „Das ist üblich und schafft Kontakte.“ In gemischten Abteilen verlassen die Herren abends den Wagen für einige Minuten, damit sich die Damen umziehen können.
Wer die gesamte Strecke zwischen Moskau und Wladiwostok im Linienzug ohne Ausstieg durchfahren möchte, sollte gute zwei Wochen dafür einplanen. Felix Willeke: „Aber erst mit Stopps und Übernachtungen außerhalb des Zuges wird die Fahrt auf der Transsib zum wirklichen Erlebnis.“ Empfehlenswerte Highlights neben Moskau und dem Baikalsee sind auch Gastronomie und Nachtleben von Irkutsk.
erfordert schon zu Hause gute Planung und Kenntnis der russischen Reisegewohnheiten. Verwirrend sind zunächst die Zeitzonen: Bis August 2018 galt für die Russische Eisenbahn ausschließlich die Moskauer Zeit – auch viele Tausend Kilometer östlich der Kapitale. Jetzt gelten die jeweiligen Ortszeiten. Die Fahrpläne und die Bahnhofsuhren richten sich allerdings nach Moskauer Zeit.
Ins Reisegepäck gehören bei einer Fahrt per Linienzug quer durch Russland neben einer russischen SIM-Karte für das Handy (die man sich am besten schon in Deutschland besorgt) ein kleines Campingbesteck und Kaffeepulver. Feuchttücher dienen nicht nur der Hygiene, sondern helfen auch beim Putzen der Abteilfenster, um während der Fahrt Erinnerungsfotos ohne Staubschleier zu schießen. Im Winter erfüllt ein kleiner Eiskratzer diesen Zweck.
Die Verpflegung im Zug ist durch einen Speisewagen und rollende Verpflegungsstationen gesichert. Aus einem Samowar in jedem Abteil gibt es ständig heißes Wasser zur Teebereitung. „Wer im Linienzug reist, sollte sich mit den Zugbegleitern gutstellen“, rät Felix Willeke. Die Provodnitsa bereitet nicht nur den Tee zu, sie hilft auch bei großen und kleinen Sorgen; etwa, wenn die Toiletten vor und nach dem Halt in Bahnhöfen lange gesperrt sind oder die Steckdose auf dem Gang den Dienst versagt. Auf großen Bahnhöfen wird die Lok gewechselt. Ein beliebtes Fotomotiv ist der Wagenmeister, wenn er an der Zugreihung entlangläuft und mit einem Hammer jeden Radsatz abklopft. Wer sich beim Zwischenstopp die Beine vertritt, sollte gut aufpassen: Die Züge fahren ohne Pfiff und ohne Durchsage ab.
Lernidee Erlebnisreisen unterstützt die individuelle Reiseplanung für die Transsib-Fahrt mit dem Linienzug, bietet aber zusätzlich zahlreiche Möglichkeiten für Reisende an, die das Abenteuer auf komfortable Weise erleben möchten. Dafür gibt es die Sonderzugreise Zarengold, die mehrmals jährlich zwischen Anfang Mai und Ende September stattfindet. Felix Willeke: „Wir bieten auf der gesamten Strecke deutsche Reiseleitung, ärztliche Begleitung und auch Abteile mit privaten Duschen und Toiletten. Längere Strecken werden in der Nacht zurückgelegt, tagsüber gibt es ein abwechslungsreiches Programm. Auch einige Hotelübernachtungen gehören zur Zarengold-Reise.“ Wer den Fernen Osten noch tiefer erkunden möchte, kann die Route zwischen Moskau und Peking als Alternative zum Endpunkt Wladiwostok buchen. Dann biegt der Sonderzug in Ulan-Ude, kurz hinter dem Baikalsee, von der Transsib-Strecke auf die Transmongolische Eisenbahn ab.
„Der mongolische Indian Summer ist unvergesslich“, schwärmt Felix Willeke. Er empfiehlt in der Mongolei einen Rundgang in Ulaan Baatar, der „kältesten Hauptstadt der Welt“ mit Temperaturen bis zu minus 60 Grad – im Winter natürlich, und dazu eine Übernachtung in einer traditionellen mongolischen Jurte. „Als Schlummertrunk gibt es eine Tasse vergorene Stutenmilch.“ Und wem das nicht genug ist, der kann bei Lernidee Erlebnisreisen unzählige weitere Reisevarianten nachfragen, zum Beispiel die Kombination einer Sonderzugreise von Moskau bis nach Ulan Ude und im Anschluss daran eine Fahrt mit dem Linienzug bis nach Wladiwostok.