Reiseleiter auf der Transsib

„Menschen und Abenteuer reizen mich immer wieder neu.“

Detlef M. Plaisier, September 2018

Hans-Joachim Bobsin ist seit 17 Jahren Chefreiseleiter für die Sonderzugreise Zarengold auf der Transsibirischen Eisenbahn. Müde ist er noch lange nicht. Im Gespräch erzählt er von Herausforderungen und seinen schönsten Momenten rund um den märchenhaften Sonderzug.

Wenn es knifflig wird, ist er in seinem Element.

Werden andere panisch, ist er die Ruhe selbst. Hans-Joachim Bobsin wird von Peking bis Moskau geschätzt für seine Ausgeglichenheit. Als er 1984 sein Masterstudium in Sinologie und Japanisch in Heidelberg aufnahm, galt er noch als Exot. Nach dem Abschluss war der Gang nach China nur folgerichtig, wo Hans-Joachim Bobsin als Operations Manager für eine Schweizer Firma arbeitete. Parallel eröffnete er eine Beratungsfirma für deutsche Unternehmen, die sich in China ansiedeln wollten.

Nach acht Jahren in Fernost dann wieder alles auf null: Hans-Joachim Bobsin schrieb Bewerbungen, „so richtig klassisch, mit Lebenslauf und Bewerbungsgespräch.“ Bei Lernidee Erlebnisreisen bewarb er sich als Chefreiseleiter. „Da stimmte die Chemie im Gespräch“, erinnert er sich. „Und als ich die erste Reise erfolgreich hinter mich gebracht hatte, da stand dann auch der CHEF vor dem Reiseleiter.“

Chef zu sein, ist kein Ausbildungsberuf mit Profil. „Man lernt nur durch Erfahrung“, weiß Hans-Joachim Bobsin nach nunmehr 8 Jahren im Dienst von Lernidee. Schon bei den ersten Fahrten mit dem Sonderzug kam ihm seine Management-Erfahrung aus China zugute, wo er für bis zu 350 Menschen Verantwortung trug. „Da kommt vieles zusammen. Als Chefreiseleiter hat man mit Gästen, Reiseleitern, Angestellten und Partnern vor Ort mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Bildung zu tun, und alle fordern Entscheidungen ein. Da ist ein klarer Kopf gefragt und ganz viel Geduld. Am meisten hilft aber die Kenntnis der Länder, die man bereist, und Übung mit der Mentalität der Bewohner.“

Beispiele gefällig? Hans-Joachim Bobsin erinnert sich an einen Zug mit 210 Gästen, der um 15 Uhr in Nowosibirsk eintreffen sollte, aber drei Stunden Verspätung hatte. „Die Abfahrt sollte aber um 19 Uhr unverändert bleiben“. Klar, dass die Mitreisenden da verärgert sind. Mit kühlem Kopf und der Mithilfe der Lernidee-Zentrale in Berlin gelang es, den Abfahrts-Slot nach hinten zu verschieben. Dramatischer war die Situation, als im Jahr 2011 die Moore und Wälder rund um Moskau brannten. „Wir fuhren mit einem vollen Zug und 205 Gästen von Kasan nach Moskau. Schon ab Jekaterinburg stand beißender Rauch im Zug. Die Klimaanlage fiel aus, die Fenster konnten nicht geöffnet werden. Menschen liefen in Unterwäsche durch den Zug.“ Und natürlich gab es keine kalten Getränke an Bord. So kaufte Hans-Joachim Bobsin mit seiner Mannschaft beim Halt in Jekaterinburg jede Flasche Sekt und jedes kalte Bier ein, die zu organisieren waren, und verteilte sie dann im Zug. Ein wenig stolz sagt er noch heute. „Am Ziel in Moskau hat sich niemand mehr beklagt.“ Da ist es im Vergleich schon eine leichte Übung, wenn die Lufthansa streikt und die Rückflüge für diesen Tag gestrichen werden. Eine kurze Absprache mit der Berliner Zentrale, eine Einladung für alle Mitfahrenden zu einer Übernachtung in Moskau – der Ärger ist verflogen. Und dann war da noch Oskar, der bei einem Halt mit einem Reiseleiter den Führerstand der Lok besichtigen durfte. Beide schafften es nicht rechtzeitig ins Abteil zurück, zu dem sie von außen hätten zutreten müssen. Der Zug fuhr ohne sie los – was man erst nach dreißig Kilometern bemerkte. Der Zugführer entschloss sich zurückzufahren und traf beide schon nach zwanzig Kilometern wieder: Die waren nämlich schon zehn Kilometer entlang der Gleise gelaufen – beachtlich, denn Oskar hatte die 80 Jahre schon überschritten. Nach einem ärztlichen Check und etwas Wodka war dann die Stimmung wieder prächtig.

Hans-Joachim Bobsin ist 130 Tage im Jahr als Chefreiseleiter unterwegs. Wenn er im Zarengold-Sonderzug auf der Transsib durch Russland, die Mongolei und China reist, schläft er in der eigenen Kabine – meistens. Auch dazu weiß er schmunzelnd eine Anekdote zu erzählen: Als ein Gast sich weigerte, seine Kabine zu teilen, überließ ihm Hans-Joachim Bobsin kurzerhand sein Chefabteil und zog in den Gepäckwagen um: „Und die Koffer waren ein wunderbar weiches Bett.“ Hans-Joachim Bobsin fährt gerne Zug und schätzt die „große Familie von Menschen, die zum Gelingen jeder Fahrt beitragen.“

Begegnungen mit Menschen sind es, die für den Chefreiseleiter immer wieder den Reiz seiner Tätigkeit ausmachen: „Einfache und schwierige Menschen, lustige und ernste – auf der Transsib-Strecke versammelt sich ein Querschnitt der Menschen auf diesem Planeten“, sagt Hans-Joachim Bobsin. So etwa „achtzig Prozent“ seien „ganz toll“, und das erhalte seinen Glauben an die Menschheit. Was allerdings nicht bedeutet, dass er sich diesen „tollen Menschen“ nicht auch mal entzieht: „Man muss sich auf der Strecke seine persönlichen Freiräume und Rückzugsorte erkämpfen. Nach mehreren Reisen habe ich gelernt, wann ich wirklich gebraucht werde und wo ich auch mal fehlen kann.“ Eine zweistündige Stadtbesichtigung im Ulaan Baatar könne schon mal zugunsten eines kurzen Schlafes ausfallen.

Die mongolische Hauptstadt Ulaan Baatar ist auch einer der drei Lieblings-Stopps von Hans-Joachim Bobsin auf der Zarengold-Strecke. „Das Mongolische ist für Europäer immer fremdartig“, meint er. Und genau das fasziniere die Gäste auf dem Sonderzug: Unbekannte Gerüche, Yaks und Jurten. Klar, dass dem Chefreiseleiter auch jedes Mal das Herz aufgeht, wenn Peking erreicht wird: „Immer noch ein Stück Heimat“, meint er und erwähnt bescheiden, dass er sich in „fünf oder sechs“ Sprachen verständigen kann. Sein Russisch werde auf jeder Zugfahrt weiter geschult. In Kasan und Irkutsk freut sich Hans-Joachim Bobsin auf die Konzerte für die Gäste des Zarengold-Zuges. „Am Anfang haben manche Mitreisende darauf so gar keine Lust. Am Ende sind sie emotional berührt.“

Am bewegendsten ist es für den Chefreiseleiter, wenn Gäste auf der Transsib ihre Klischees über andere Länder und Menschen über Bord werfen. „Mongolen sind nun mal keine wilden Gesellen“, schmunzelt Hans-Joachim Bobsin. Seine privaten Reisen fallen kürzer aus als die Strecke zwischen Moskau und Peking: Die Ostsee und europäische Nachbarn sind dabei, mal kurze Städtereisen, auch ein Strandurlaub in Thailand. Auf dem Plan steht auch ein Trip durch den Westen der USA: „Die Kinder wollen mal acht Stunden am Stück im Flugzeug Filme sehen.“

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